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Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs (VerfGH 2/14), veröffentlicht am 3.12.14

Auszüge:               Das vollständige Urteil finden Sie
HIER (PDF-Datei)

Zudem darf die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung den Anspruch einer Partei
auf die Gleichheit ihrer Wettbewerbschancen nicht willkürlich beeinträchtigen. Es ist
einer Regierung daher untersagt, eine nicht verbotene politische Partei in der Öffent-
lichkeit nachhaltig verfassungswidriger Zielsetzung und Betätigung zu verdächtigen,
wenn eine solche Verdächtigung bei verständiger Würdigung der das GG beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht...

Der an die Bevölkerung gerichtete Aufruf, an den Protesten teilzunehmen, geht
über eine Information der Öffentlichkeit und über eine negative Bewertung hinaus. Er
hat unmittelbar parteiergreifenden Charakter insofern, als er zu Lasten einer nicht
verbotenen Partei die Bevölkerung zum Handeln aufruft, was zu einer Schmälerung
ihrer Wahlchancen führen kann. Bei einem solchen Aufruf informieren staatliche Stel-
len nicht mehr über Absichten und Ziele einer Partei, damit sich die Wähler selbst ein
Urteil bilden können. Vielmehr fordert die Antragsgegnerin (Ministerin) die Bevölkerung auf, zu Lasten dieser Partei selbst aktiv zu werden und die „rote Karte“ zu zeigen. Das
Handeln der Bevölkerung ist dann nicht mehr mittelbare Folge einer grundsätzlich
zulässigen Öffentlichkeitsarbeit, sondern der Aufruf ist unmittelbar auf jenes Handeln
mit nachteiligen Wirkungen für eine nicht verbotene Partei gerichtet. Bei einem solchen Aufruf verhält sich der Staat nicht mehr neutral. Er wird dann selbst Partei.

Die Grenzen der Kompetenz zur Öffentlichkeitsarbeit wurden drüber hinaus auch durch den Aufruf überschritten, das „Bündnis gegen Rechts“ zu unterstützen.
Von dieser Kompetenz sind gewiss Aufrufe gedeckt, allgemein Initiativen zu unter-
stützen, die für den Schutz der freiheitlichen und demokratischen Ordnung eintreten
(Vergabe von Preisen für Demokratie; Schülerwettbewerbe etc.). Es muss
dann aber gewährleistet sein, dass diese Initiativen nicht auf eine bestimmte Partei zielen. Im konkret zu entscheidenden Fall steht es aber außer Zweifel, dass diese Initiative gerade gegen die Aktivitäten der Antragstellerin in Kirchheim gerichtet war.
Damit nimmt die Medieninformation der Ministerin den Charakter einer politischen Aktion
an, die von der Kompetenz zur Öffentlichkeitsarbeit nicht mehr gedeckt ist...

Es ist nicht Aufgabe des Staates, die Bürger zu Kundgebungen für oder gegen politi-
sche Parteien aufzurufen. Die vom Grundgesetz und von der Thüringer Verfassung
gleichermaßen gewährleistete Versammlungsfreiheit ist grundsätzlich gegen die öf-
fentliche Gewalt gerichtet. Sie steht nicht dem Staat zu, sondern den Bürgerinnen
und Bürgern. Deshalb kann sich die Antragsgegnerin nur dann auf das Grundrecht
der Versammlungsfreiheit berufen, wenn sie als Privatperson an einer Kundgebung
teilnimmt, nicht aber als Ministerin. Aufrufe staatlicher Stellen zur Teilnahme an
Kundgebungen gehören deshalb nicht zum alltäglichen Instrumentarium staatlicher
Politik und Verwaltung...

Aus der Grundentscheidung für eine wehrhafte Demokratie ergeben sich jedoch im Hinblick auf Demonstrationsaufrufe staatlicher Stellen keine über die oben dargestellten Grenzen hinausgehenden Befugnisse. Anderenfalls würden unter Rückgriff auf eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung die bislang anerkannten und konsolidierten Grenzen der Kompetenz zur Öffentlichkeitsarbeit der Regierung und die allenfalls auf Ausnahmelagen beschränke Befugnis zu Handlungsaufrufen mit der Folge erweitert, dass der Staat selbst unmittelbar parteiergreifend tätig werden und seine neutrale Rolle aufgeben dürfte. Die Grundentscheidung für eine wehrhafte Demokratie lieferte dann eine Kompetenz der Regierung, selbst als Partei aktiv in den Wettbewerb um die Stimmen der Wähler einzutreten. Dies führte aber zu einer Aushöhlung des Rechts aus
Art. 21 GG, das allen Parteien gleichermaßen zusteht, solange das Bundesverfas-sungsgericht nicht über ihre Verfassungswidrigkeit entschieden hat.
 

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